- Arbeits- und Sozialrecht
Ablehnung des Angebots eines Prozessarbeitsverhältnisses ist kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs
LAG Stuttgart: Ein im Kündigungsschutzverfahren obsiegender Arbeitnehmer kann den ungekürzten Annahmeverzugslohn auch dann verlangen, wenn er die Begründung eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses ablehnt.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Stuttgart (Urteil vom 26.01.2021, Az. 19 Sa 51/20) liegt in der verweigerten Annahme dieses Angebots kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs i.S.v. § 615 S. 2 BGB.
In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber dem erstinstanzlich obsiegenden Kündigungsschutzkläger für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens einen befristeten Prozessbeschäftigungsvertrag angeboten, nachdem er vom Arbeitsgericht zur Weiterbeschäftigung verurteilt worden war und Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegt hatte. Der Arbeitnehmer lehnte das Angebot jedoch ab, weil er neben dem vom Arbeitsgericht bestätigten Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses kein zweites befristetes Arbeitsverhältnis durch seine Unterschrift besiegeln wollte. Gleichzeitig bot der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft vor Ort im Betrieb tatsächlich an. Der Arbeitgeber machte die tatsächliche Aufnahme der Beschäftigung von der Unterschrift unter den Vertragsentwurf abhängig, in dem es u.a. hieß, dass das Prozessarbeitsverhältnis während der Laufzeit beiderseits mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden könne und der Arbeitnehmer pro Beschäftigungsmonat Anspruch auf unbezahlte Freistellung i.H.v. 2,5 Kalendertagen habe.
Da der Arbeitgeber die klägerische Arbeitsleistung auch weiterhin nicht annahm, erhob der Arbeitnehmer in einem weiteren Gerichtsverfahren für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist Klage auf Annahmeverzugslohn. Dieser trat der Arbeitgeber mit dem Argument entgegen, durch die Ablehnung des ihm vorgelegten Prozessbeschäftigungsvertrages habe der Arbeitnehmer i.S.v. § 615 S. 2 BGB böswillig gehandelt und müsse sich den entgangenen Verdienst auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen. Dem folgte das Arbeitsgericht durch Klageabweisung. Das LArbG Stuttgart sah jedoch keine „Böswilligkeit“ und sprach die Klageforderung dem Grunde nach zu. Dem Kläger könne nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit abgelehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm Arbeit angeboten werden. Hat aber ein Arbeitnehmer – wie hier – einen vollstreckbaren Weiterbeschäftigungstitel, kann der Arbeitgeber von ihm den Abschluss eines Prozessarbeitsverhältnisses mit ggf. abweichendem Inhalt nicht verlangen. Wollte man in einem solchen Fall den Arbeitnehmer für verpflichtet halten, sich auf eine Prozessbeschäftigung auf vertraglicher Grundlage einzulassen, würde der durch die gefestigte Rechtsprechung abgesicherte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch nach obsiegenden Urteil im Kündigungsschutzverfahren entwertet. Der Arbeitnehmer handelt nicht böswillig, wenn er darauf besteht, nur aufgrund des Beschäftigungstitels tätig zu werden.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.
Das Interesse des Arbeitgebers am Abschluss eines auf die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens befristeten Prozessarbeitsverhältnisses folgt aus dem Risiko, bei rechtskräftig festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung die Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmers für mitunter mehrere Jahre erfüllen zu müssen, ohne dafür eine Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer erhalten zu haben. Da es sich um ein zeitlich befristetes (Prozess-)Arbeitsverhältnis handeln soll, muss der Arbeitgeber auf die schriftliche Fixierung der Befristungsabrede achten, will er vermeiden, dass ein neues unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht, für das der Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens völlig irrelevant ist. Von der Beschäftigung im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses ist die tatsächliche und ohne eine Vereinbarung mögliche Beschäftigung des Arbeitnehmers zur Abwendung einer angedrohten Zwangsvollstreckung aus dem vom Arbeitnehmer erwirkten Beschäftigungstitel abzugrenzen. Bei letzterer handelt es sich um ein Rechtsverhältnis sui generis, durch das weder ein neues Arbeitsverhältnis begründet noch das bisherige fortgesetzt wird. Es wird nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen abgewickelt, so dass der Arbeitgeber nur die vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachte Leistung zu vergüten hat und kein Anspruch auf Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht. Hier muss der Arbeitgeber darauf achten, dass im Zeitpunkt der Arbeitsaufforderung tatsächlich eine Zwangssituation vorliegt, der Arbeitnehmer die Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Beschäftigungstitel also bereits angedroht hat. Andernfalls wird bei fortgesetzter Beschäftigung ohne eine gesonderte Vereinbarung ein neues – mangels schriftlicher Befristungsabrede oder auflösender Bedingung – unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet. Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Aufnahme der Arbeitsleistung während des noch laufenden Kündigungsschutzverfahrens auffordern, muss er sich also zuvor Gedanken machen, in welcher Form dies geschehen soll. Wir halten sowohl für das Prozessbeschäftigungsverhältnis als auch die Prozessbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung klarstellende Muster in unserem Mitgliederbereich bereit.
Bei Fragen dazu wenden Sie sich gern an Ihren zuständigen juristischen Ansprechpartner.