- Arbeits- und Sozialrecht
Verhaltensbedingte Kündigung wegen kritischer Äußerung – Reichweite der Meinungsfreiheit
BAG: Schmähkritik fällt nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit und kann deshalb eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.
Das Bundesarbeitsgericht musste sich in seinem Urteil vom 05.12.2019 mit der Abgrenzung von zulässiger Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG und Schmähkritik befassen.
Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass ein erheblicher, gegebenenfalls sogar die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel droht (Weitergabe von Informationen an die Presse), um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen. Gleiches gelte für grobe Beleidigung des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen.
In diesem Zusammenhang stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt seien. Anderes gelte für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthielten; sie fielen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Dasselbe gelte für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengten, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt seien. Der Grundrechtsschutz bestehe unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutze, ob diese rational oder emotional begründet oder unbegründet sei und ob sie scharf oder überzogen getätigt worden sei.
Anders verhalte es sich bei der Schmähkritik, die nicht den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genieße. Eine Schmähung sei eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Wesentliches Merkmal der Schmähung sei eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Vor dem Hintergrund, dass es bei im Einzelfall gegenüberstehenden Grundrechtspositionen grundsätzlich einer Abwägung zwischen diesen unter Berücksichtigung aller wesentlicher konkreter Umstände bedürfe, sei der Begriff der Schmähkritik eng definiert.
Das Bundesarbeitsgericht legt seiner Rechtsauffassung die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zugrunde. Beleidigende Äußerungen im Arbeitsverhältnis sind danach von der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG geschützt, solange ein Sachbezug erkennbar bleibt. Die Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und sanktionierbarer Schmähkritik wird sich im Einzelfall als Wertungsfrage aber oft schwierig gestalten, zumal nicht vorhersehbar ist, welchen Rechtscharakter das Arbeitsgericht in einem Rechtsstreit der jeweiligen Äußerung beimessen werden wird.
BAG, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 –