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Im Interview: NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena in der WELT

Olaf Preuß im Gespräch mit dem NORDMETALL-Präsidenten über die aktuelle Tarifrunde, Homeoffice und die unterschiedlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie in der M+E-Industrie.

Interview mit Folkmar Ukena, Präsident von Nordmetall, Olaf Preuß
erschienen am 30.01.2021 in der WELT

WELT: Herr Ukena, was ist für Sie das zentrale Thema in dieser Tarifrunde, die sie vor dem Hintergrund der Pandemie führen?

Folkmar Ukena: Im Mittelpunkt aller Gespräche steht für mich und unsere Mitglieder bei Nordmetall das Ziel, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten. Da sind zum einen die Effekte der Pandemie, die seit einem Jahr andauert, zum anderen der Strukturwandel in jeder einzelnen Teilbranche der Metall- und Elektroindustrie. Das zweite wesentliche Ziel ist, dass unsere Mitgliedsunternehmen wettbewerbsfähiger aus dieser Krise herausgehen. Insofern setzen wir auf ein gemeinsames Verständnis der Tarifvertragsparteien und auf einen konstruktiven Dialog, der dafür besonders wichtig ist.

WELT: Haben Sie für diese Tarifrunde ganz persönlich einen bestimmten, zentralen Appell?

Ukena: Ich wäre glücklich und zufrieden, wenn wir unseren kleinen, mikroökonomischen Bereich mal für einen Moment zur Seite legen und auch einmal auf die makroökonomischen Zusammenhänge schauen würden. Auch die Pandemie muss man ja in den größeren Zusammenhang der internationalen Märkte einordnen – und berücksichtigen, was etwa Wettbewerber, aber auch Regierungen in anderen Ländern jetzt tun. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, zum Beispiel über Lohnkostensteigerungen nur mit dem Blick vor die eigene Haustür zu verhandeln.

WELT: In dieser zweiten Welle der Corona-Pandemie wird noch einmal intensiv über die Möglichkeiten und die Notwendigkeit des Homeoffice debattiert. Gehen die Unternehmen der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie hier mit gutem Beispiel voran?

Ukena: Eine aktuelle Umfrage bei unseren Mitgliedsunternehmen hat ergeben, dass 92 Prozent von ihnen den Mitarbeitern überall dort Homeoffice anbieten, wo es möglich ist. Das ist ja keine Belohnung für die Mitarbeiter, sondern es ist der originäre Selbstzweck des Unternehmens, dass die Betriebsabläufe nicht durch eine Vielzahl von Corona-Erkrankungen beeinträchtigt werden. Es kann ja zum Beispiel sein, dass ein Gesundheitsamt ganze Abteilungen in Quarantäne schickt, wenn einzelne Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet werden. So etwas will natürlich jedes Unternehmen vermeiden. Es gibt aber durchaus auch sehr unterschiedliche Reaktionen und Einschätzungen der Mitarbeiter zum Thema Homeoffice. Denn es bringt ja auch zusätzliche Belastungen mit sich, insbesondere für Eltern.

WELT: Hat es Sie erstaunt, wie viele Unternehmen ihre Mitarbeiter nach wie vor kaum oder kein Homeoffice praktizieren lassen?

Ukena: Mich hat eher erstaunt, wie viele Unternehmen inzwischen dazu in der Lage wären, im Homeoffice arbeiten zu lassen. Mittelständische Industrieunternehmen, die oft sehr produktionsnah organisiert sind, kann man dabei natürlich nur schwer mit Dienstleistungsunternehmen etwa in den Medien oder der Finanzwirtschaft vergleichen. Bei vielen unserer Mitgliedsunternehmen müssen Mitarbeiter eben dann doch oft kurzfristig in die Produktion kommen, um etwas abzustimmen. Die Politik hat sich in ihrer Strategie zur Abwehr der Pandemie nicht optimal aufgestellt. Da ist man natürlich froh, wenn man einen Papiertiger durch die Landschaft treiben und bei den Unternehmen Forderungen zum Homeoffice stellen kann, die vielfach längst umgesetzt sind, anstatt daran gemessen zu werden, ob man seine eigenen Forderungen im eigenen Verantwortungsbereich erfüllt – Stichwort Schulen, Gesundheitsämter, digitale Infrastruktur.

WELT: Sprechen Sie in dieser Tarifrunde, trotz Pandemie und teils massiver Einbrüche in bestimmten Branchen, auch über Lohn- und Gehaltserhöhungen?

Ukena: Die IG Metall hat bei dem Thema jedenfalls aufgerüstet wie zu einer normalen Tarifauseinandersetzung, inklusive einer deutlichen Erhöhung der Tabellenwerte bei den Vergütungen. Tatsächlich aber ist die Tarifrunde extrem von den Bedingungen der Pandemie geprägt. Im vergangenen Jahr hat Corona die Metall- und Elektroindustrie 17 Prozent Umsatzrückgang gekostet. Bei uns gibt es derzeit nichts zu verteilen. Und der eigentliche Strukturwandel hatte – begleitet von Umsatzrückgängen – ja bereits 2018 und 2019 begonnen. Wir kommen langsam aus einem tiefen Loch heraus, sind aber noch lange nicht wieder auf dem Umsatz- und Produktionsniveau von 2018.

WELT: Mit Blick auf zwei von der Pandemie besonders stark betroffene Branchen, den Flugzeug- und den Schiffbau – kann sich die Industrie aus eigener Kraft erholen, oder brauchen die Unternehmen hier staatliche oder auch mehr staatliche Hilfe?

Ukena: Der Bau von Kreuzfahrtschiffen ist innerhalb unseres Wirtschaftszweiges am schwersten und wahrscheinlich auch am längsten von den Folgen der Pandemie betroffen. Die Perspektiven für die Rückkehr zu einem normalen Niveau sind nicht gut. Bei den MV Werften in Wismar hilft der Staat bereits mit Krediten und Bürgschaften. Bei der Meyer Werft in Papenburg spricht man darüber, zumindest die staatlich beeinflussbaren Kosten beim Bau und der Überführung zeitweise zu reduzieren. Mit staatlicher Unterstützung allein können solche Werften aber nicht abgesichert werden, da sind auch interne Restrukturierungen und strategische Neuorientierungen auf der Tagesordnung, die sich auch auf Beschäftigungsebene auswirken können.

WELT: Bei der Meyer Werft streiten Arbeitgeber und Arbeitnehmer derzeit über die Frage, ob der Einsatz von mehr Leiharbeitern zu rechtfertigen ist, wenn er womöglich auf Kosten der Stammbelegschaft geht. Wie sehen Sie das?

Ukena: Die Meyer Werft wird derzeit extrem emotional diskutiert. Da tritt eine Seite massiv auf…

WELT: …Betriebsrat und Gewerkschaft IG Metall…

Ukena: …und mag sich nicht in die Situation hineindenken, dass Aufträge da einfach ausbleiben. Ich kann aber auf einer Werft mit einer solchen Größenordnung und derart vielen Spezialisierungen wie bei Kreuzfahrtschiffen nicht einfach sagen, ich verabschiede mich von den Leiharbeitern und lasse dann einen Metallfacharbeiter oder Schlosser aus der Belegschaft die Theater-Inneneinrichtung auf dem Schiff installieren. Bei allem Verständnis dafür, dass die Gewerkschaft möglichst viele Arbeitsplätze in der Stammbelegschaft erhalten will, muss die Geschäftsführung das gesamte Bild betrachten, inklusive Kosten und Spezialisierungen. Von vielen unserer Mitgliedsunternehmen hören wir: Mit diesen weltweit an der Spitze rangierenden Arbeitskosten können wir bestimmte Projekte nicht mehr realisieren. Insofern hilft die Fremdvergabe von Arbeiten durch die dann mögliche Mischkalkulation auch, Stammarbeitsplätze zu sichern.

WELT: Wie sehen Sie die Situation des Flugzeugbaus, also speziell bei Airbus und dessen zahlreichen Zulieferunternehmen in Norddeutschland?

Ukena: Nicht gut, aber hier sind die Aussichten auf Erholung zumindest besser als im Schiffbau. Kleine Anzeichen dafür sehen wir bereits bei der Erholung der Flugbewegungen an den asiatischen Märkten. Die USA und Europa werden dem irgendwann folgen. Bei unseren Mitgliedsunternehmen wie Airbus und Premium Aerotec sehen wir zudem Entwicklungen für leichtere und sparsamere Flugzeugmodelle, für die es sicher einen größeren Bedarf geben wird. In der Summe wird es allerdings auch im Flugzeugbau noch einige Jahre dauern, bis sich die Lage wieder durchgreifend normalisiert.

WELT: Nordmetall vertritt auch Unternehmen der Automobilindustrie – die ganz unabhängig von der Pandemie in einem tiefen Strukturwandel hin zur Elektromobilität steckt. Wie stark belastet das Ihre laufenden Tarifverhandlungen?

Ukena: Das Volkswagen-Werk in Emden ist nicht Mitglied bei Nordmetall, allerdings das Daimler-Werk in Bremen und eine Reihe von Zulieferunternehmen mit insgesamt rund 21.000 Mitarbeitern. Generell sehen die Beschäftigten in den Automobilwerken, dass ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor etwa 3500 Teile hat und eines mit Elektroantrieb nur noch 500 Teile. Völlig offen ist heute, wie dieser Umstieg gelingt und wie viel des heutigen Arbeitsvolumens dabei erhalten bleibt. Die Herausforderungen des  Strukturwandels in der Automobilbranche sind massiv und groß.

WELT: Die Industrie für Windkraftwerke an Land und auf See war ebenfalls schon vor der Pandemie stark unter Druck. Wie steht die Windkraftbranche im Norden derzeit da?

Ukena: Die Windkraftindustrie müssen wir uns dringend erhalten, weil sie eine enorme Bedeutung für den Klimaschutz hat. Es gibt dort ja riesige Chancen, weil der Strombedarf deutlich wächst. Die Hoffnung auf einen dauerhaften industriellen Kern der Windkraftindustrie an der Küste hat sich bislang allerdings nicht erfüllt. Ein Grund dafür ist die energiepolitische Krise als Folge einer völligen Überregulierung des Energiemarktes durch die Politik und auch fehlender Stromtrassen für Ökostrom nach Süden. In Niedersachsen, dem führenden Bundesland bei der Windkraft in Deutschland, wurden 2019 gerade mal 54 neue Anlagen aufgebaut. Im Jahr 2020 waren es 48 neue Anlagen und 34 alte wurden abgebaut. Das ist eine unvorstellbar schlechte Bilanz.

WELT: Ist das Momentum für den Aufbau einer dauerhaft starken Windkraftindustrie in Deutschland verpasst?

Ukena: Wir sind in unserem Wirtschaftsraum offenbar nicht in der Lage, auf starken internationalen Wettbewerbsdruck zu reagieren. Mikroökonomisch ist es sicher richtig, wenn der eine oder andere Hersteller von Windturbinen Teile in China zukauft. Das führt aber am Ende dazu, dass ganze Unternehmen mit Hunderten Mitarbeitern abgewickelt werden, weil etwa große Gussteile mittlerweile günstiger aus China kommen. Bei einer Branche, die uns aus dem Klimawandel heraushelfen soll, erscheint es aberwitzig, dass wesentliche Teile dafür unter ökologisch fragwürdigen Bedingungen produziert und über weite Strecken transportiert werden. Auch ist das Verständnis für die Windkraftbranche in Deutschland noch deutlich ausbaufähig. Wichtig wäre das auch deshalb, weil die Erzeugung von Wasserstoff aus Windstrom gute Perspektiven bietet.

WELT: Das Windkraft-Unternehmen Enercon hat in der Region Aurich eine ähnliche Bedeutung wie die Meyer Werft in und um Papenburg. Seit Jahren steckt das Unternehmen in einer Reorganisation und baut dabei immer wieder auch Arbeitsplätze ab. Wissen Sie, wie es dort zurzeit steht?

Ukena: Nordmetall hat mit weiteren norddeutschen Arbeitgeberverbänden beizeiten das Netzwerk „nordwindaktiv“ gegründet, um die Energiewende-Branche zu unterstützen und auch bei solchen Umstrukturierungen, wie sie Enercon gerade durchmacht, zu begleiten. Auch wenn das Unternehmen  nicht Mitglied bei Nordmetall ist, haben wir  Signale bekommen, dass es insgesamt auf einem guten Weg ist. Allerdings findet Enercon an seinem Heimatmarkt auch nicht die politischen Rahmenbedingungen vor, um besser verkaufen zu können.

WELT: Gibt es bei Nordmetall Unternehmen, denen es derzeit richtig gut geht, abgesehen vom Medizintechnik-Hersteller Dräger in Lübeck?

Ukena: Wir haben ja auch die Elektroindustrie in unseren Reihen, und da gibt es durchaus technische Dienstleister, die elektronische Komponenten und Software etwa für neuartige digitale Kommunikationssysteme herstellen. Dieses Geschäft boomt natürlich, wir sprachen vorhin über das Thema Homeoffice. Aber auch in der Medizintechnik lebt niemand auf einer Insel der Seligen. Das Bild bei Nordmetall ist extrem durchwachsen, es gibt einige Gewinner, aber auch ganz massiv Verlierer durch die Pandemie. Deshalb sind die Anforderungen an diese Tarifverhandlungen so hoch, die ganze Bandbreite unserer Mitgliedsunternehmen weiterhin in einem Flächentarifvertrag zu einen.

WELT: Könnten Sie die tarifvertraglichen Regelungen nicht bei bestimmten Branchen wie dem Flugzeug- oder dem Schiffbau stärker differenzieren?

Ukena: Wir können und wir müssen stärker differenzieren und variabilisieren. Kriterium dafür muss die wirtschaftliche Lage der Firmen sein. Allerdings müssen die Tarifvertragsparteien zustimmen, wenn eine Sonderregelung auf ein Unternehmen angewendet wird. Das ist in der Umsetzung nicht immer einfach. Wir bräuchten Modelle zur Differenzierung, die automatisch auf der Basis einfacher Kennzahlen funktionieren, ohne komplexe Mechanismen der Zustimmung.

WELT: Kann die Bundesregierung der Metall- und Elektrobranche durch höhere Förderungen für Forschung und Entwicklung helfen?

Ukena: Beim 3D-Druck kann die Industrie das ganz gut allein bewerkstelligen. Speziell beim Thema Wasserstoff sehen wir aber, dass es extrem viel Geld kostet, das zu erforschen oder es in betriebliche Versuchsanlagen umzusetzen. Auch könnte Forschungsförderung in Deutschland für diesen Bereich mit europäischen Wettbewerbsregeln kollidieren. Es wäre ein sehr gutes Erfolgsmodell für die windreiche Küstenregion, wenn wir aus Windstrom, der gerade bei Starkwindlagen im Zweifel gar nicht abgenommen wird, künftig Wasserstoff als gespeicherte Energie erzeugen könnten. Und es wäre schade, wenn wir in Deutschland auch an dieser Stelle wieder zu langsam und zu träge wären und in der Umsetzung nichts dazugelernt hätten.

WELT: Wie geht es derzeit Ihrem eigenen Unternehmen?

Ukena: Leda hat ein zweiteiliges Geschäft: Unsere Sparte für den Industrieguss – dort fertigen wir Zulieferteile für den allgemeinen Maschinenbau – verzeichnet infolge der aktuellen Umstände starke Einbrüche. Unser zweiter Unternehmensbereich für Heiztechnik – wir beschreiben ihn als „sichtbares Feuer“ für das Wohnzimmer – kann aber das auffangen, was wir im Industriebereich verloren haben. Vieles, was die Bürger derzeit etwa für Reisen nicht ausgeben können, investieren sie  in den häuslichen Bereich, zum Beispiel in einen schönen Ofen. Wir profitieren auch davon, dass der Gesetzgeber den Austausch älterer Heizungen finanziell fördert. Insgesamt sind wir mit einem blauen Auge davongekommen.

WELT: Was hat Sie motiviert, ausgerechnet mitten in der Pandemie Präsident von Nordmetall zu werden?

Ukena: Dass wir eine zweite und dritte Welle von diesen Ausmaßen bekommen könnten, das habe ich nicht vorausgesehen. Generell: Das Engagement aus der Perspektive eines mittelständischen Familienunternehmers heraus, der in frühen Jahren auch mal bei einem Weltkonzern gearbeitet hat, kann sehr fruchtbar sein, besonders wenn ich in Diskussionen mit den ganz Großen am Tariftisch meine Stimme mit einbringe. Wir müssen etwas verändern, weil die Welt sich rasant verändert. Die Bereitschaft in unserer Branche dafür ist jedenfalls da.